Pferde sind nicht nur zum Reiten da

Das Pferd als Coach

Pferde sind seit über 5000 Jahren Weggefährten des Menschen.

Zunächst unter anderem als Begleiter bei der Jagd und dem zurücklegen weiterer Wegstrecken. Bis sie dann schlussendlich immer mehr den Status der Nutztiere verloren und schließlich unter anderem zum beliebten Hobby-Partner wurden. Doch auch wenn in vielen Köpfen mit einem Pferd automatisch das Wort Reiten assoziiert wird, können Pferde viel mehr als „nur“ den Menschen zu tragen. Neben den unterstützenden therapeutischen Aspekten, die in der letzten Horseman-Ausgabe beschrieben wurde, werden Pferde in der heutigen Zeit auch immer mehr im Bereich der Persönlichkeits-Entwicklung des Menschen eingesetzt.

Warum können Pferde hier besonders gut helfen?

Dass Interventionen mit Pferden nachweislich das Wohlbefinden steigern können ist bekannt und auch wissenschaftlich in unterschiedlichen Studien belegt. Aber auch im Bereich des Coachings gibt es mittlerweile valide Ergebnisse, die einen positiven Effekt auf den Menschen belegen.

Pferde sind Herdentiere und suchen aktiv den Kontakt zu Sozialpartnern. In der heutigen Zeit sind dies nicht ausschließlich Pferde sondern auch der Mensch. Dabei kommunizieren die Pferde überwiegend über die Körpersprache. Im Laufe der Evolution und der enger werdenden Beziehungen mit den Menschen, haben die Pferde ein Stück weit gelernt, unter anderem die Mimik und Körpersprache des Menschen zu lesen und zu deuten. Aber auch die sensible Art dieser Spezies feinste Änderungen im Herzschlag, in der Atmung und sogar einen erhöhten Cortisolspiegel des Menschen wahrzunehmen, macht das Coaching besonders einzigartig. Neueste Studien ergaben sogar, dass die Pferde diese Fähigkeit sogar über mehrere hundert Meter nutzen können.

Dieser Entwicklungsprozess wird unter anderem im Coaching- Segment genutzt. Zum Beispiel wird das nonverbale Ausdruckverhalten genutzt, um sich der eigenen Körpersprache bewusst zu werden. Das Pferd reagiert unmittelbar und auch sehr unverblümt auf die feinsten Signale des Menschen. Mit einem guten Coach an der Seite kann das Verhalten analysiert und reflektiert werden, so dass der Mensch neue Erkenntnisse über seine Außenwirkung erhalten kann. Zeitgleich kann so eine Verhaltensänderung des Menschen angestoßen werden. Durch das Bewusstwerden der eigenen Verhaltensweisen wird zudem die Psychomotorik geschult, das Körpergefühl wird verfeinert und das Ausdruckverhalten kann bewusster und zielgerichteter eingesetzt werden. In vielen Berichten und Artikeln wird beschrieben, dass das Pferd das Verhalten des Menschen spiegelt. Und dies ist auch eine sehr passende Beschreibung.

Ein weiterer wichtiger Pluspunkt ist die Unbefangenheit der Tiere. Sie lassen sich nicht leiten von Äußerlichkeiten oder Vorurteilen. Sie nehmen den Menschen so an wie er sich gerade in dem Moment darstellt. Hieraus können interessante Erlebnisse wachsen. Der Mensch kann sich in verschiedensten Ausdrucksverhalten- und formen ausprobieren und erhält so eine direkte Resonanz vom Gegenüber. Da Pferde auch die Emotionen des Menschen aufgreifen und spiegeln, ist so die Wahrnehmung und Beschreibung der Emotionen für viele Menschen wesentlich einfacher. Sie beschäftigen sich dann zunächst mit dem Verhalten des Pferdes ohne sich primär direkt mit den eigenen Emotionen auseinander zu setzen. Aus dieser Beschreibung des Pferdes kann anschließend eine Überleitung zur eigenen Persönlichkeit unter fachkundiger Anleitung stattfinden. Daraus resultierend kann ein Übertrag auf andere Lebensbereiche des Menschen stattfinden. Neue Verhaltensweisen können so zunächst am Pferd „ausprobiert“ werden. Durch die Erlangung von Routine und Sicherheit in Bezug auf eine Verhaltensänderung, fällt es vielen Menschen dann leichter das Neugelernte bei anderen Menschen umzusetzen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt, der im Bereich des Coachings, aber auch natürlich in therapeutischen Einsätzen, zum Tragen kommt ist die Funktion als sogenannter „Türöffner“. In vielen Fällen fällt es Menschen leichter Gefühle und Emotionen aber auch Sorgen und Ängste einem Tier mitzuteilen. Ein einfühlsamer Coach, kann hier unterstützend tätig werden. Da der Austausch über das Medium Pferd erfolgt ist fällt das Erzählen leichter. Der Mensch erfährt so Wertschätzung und Akzeptanz.

Natürlich gibt es auch unter den Pferden Exemplare, die diese Fähigkeit unterschiedlich stark ausgeprägt haben und es ist sicherlich nicht jedes Pferd dafür geeignet. Ob und wie intensiv ein Pferd einen Menschen spiegeln kann hängt sicherlich von vielen Faktoren ab. Eine gute Kenntnis des Ausdrucksverhalten des Pferdes ist aber unerlässlich.

Dazu ein kurzes Beispiel wie sensibel manche Pferde auf einen Menschen reagieren können:

Eine 12-jährige Stute lebte seit einem Jahr bei ihren neuen Besitzern. Die eine Besitzerin war sehr klar in ihrer Körpersprache aber auch in den Signalen, die sie dem Pferd gab. Sie war außerdem emotional sehr stabil und sehr zielstrebig. Sie konnte das Pferd sehr gut handeln und die Stute vertraute ihr. Sie reagierte außerdem auf kleineste Gesten und Änderungen der Mimik. Bei den beiden wirkte alles sehr harmonisch und die Stute machte auf den ersten Blick einen sehr souveränen Eindruck. Ganz anders war es als die andere Besitzerin den Platz betrat. Auch wenn sie noch gar nichts machte außer anwesend zu sein, nahm die sensible Stute bereits den Herzschlag und die Atmung der zweiten Besitzerin wahr. Woraufhin die Stute im Roundpen anfing wild zu galoppieren. 

Sobald diese Besitzerin sich wieder entfernte, wurde das Pferd ruhiger, kam sie wieder näher, begann das Pferd erneut zu galoppieren. Die zweite Besitzerin, war immer sehr angespannt und der Muskeltonus war sehr hoch. Auch das spiegelte sich sofort und unmittelbar im Pferd wider. Auch sie zeigt dann hohe Anspannung und ein Zittern im Bereich der Schultermuskulatur konnte wahrgenommen werden. Auch dies verging wieder, sobald die zweite Besitzerin nicht in der Nähe des Pferdes war. Das Pferd war so sensibel, dass sie die feinsten Emotionen wahrnehmen konnte, genauso wie die damalige emotionale Instabilität der zweiten Besitzerin. Diese Fähigkeit des Pferdes war Fluch und Segen zugleich. Schon beim Abholen von der Wiese erkannte sie die Verfassung der Besitzer aus der Ferne und zeigte dann schon große Unruhe. Daraus ließen sich sehr zuverlässig direkte Rückschlüsse auf das menschliche Befinden schließen. In diesem Zustand war an Training mit der Stute nicht zu denken.

So ein Verhalten kann durchaus im Coaching-Bereich vorkommen. Auch wenn es für den Menschen auf den ersten Blick frustrierend erscheint, kann es dennoch viele Chancen geben. Manchmal ist die Konstellation oder einfach das Setting etwas ungünstig, aber das sind ja durchaus „Stellschrauben“ an denen gedreht werden kann.

Quelle: Horseman Magazin (Oktober 2020), Text: Patricia Hummen